Gebäudeübersicht

Erinnerungen – rund um den Neubau der Georgschule

Architekt Eckhard Berger lässt uns in Bau-Details lesen wie in einem offenen Buch

 

 

Auch ich reihe mich gern in die lange Schlange derjenigen ein, die der Georgschule ganz herzlich zum
30. Geburtstag gratulieren wollen, habe ich doch als Architekt des Neubaus einen Teil ihres Werdens mit meiner Arbeit begleiten können. So blicke ich bei diesem Fest gern zurück auf die Entwicklung der Schule und hoffe dabei auch, dem Ereignis des ersten Geburtstages, noch in der Geborgenheit der Rudolf-Steiner-Schule, näher zu kommen.

 

Doch wie sollte es anders sein: Als Architekt bleibt mein Blick sogleich bei den großen Baufesten hängen. Zum Greifen nahe ist da die Einweihung, und etwas ferner, aber doch gut im Sichtfeld das Richtfest. Und selbst die Grundsteinlegung ist gerade noch im Schauen zu erfassen. Danach aber verliert sich der Blick in verbergenden Schleiern, die das Ereignis des ersten Spatenstiches nur noch erahnen lassen. Dieses erste der Baufeste kann allerdings auch nicht der erste Geburtstag gewesen sein, denn es liegt ja erst so um
die zwölf Jahre zurück.

 

Ich muss also noch weiter rückwärts suchen, bis sich endlich die Nebel lichten und ich mich unversehens in einer Gruppe von Persönlichkeiten der damaligen Georgschule wiederfinde, die auf einer sanft fallenden Wiese südöstlich der verlängerten Mergelteichstraße stehen und sinnieren. Nach Ost und Südost bietet sich über eine sanfte Talsenke hin ein herrlich freier Blick auf den dicht begrünten Tierpark, im Westen und Nordwesten liegt das harmonisch gewachsene städtebauliche Ensemble des PSZD mit der Rudolf-Steiner-Schule. Insgesamt stellte sich die Wiese als geradezu ideales Gelände für einen Neubau der Georgschule dar, die damals dringend aus den beengten Räumen der provisorischen Unterbringung in der Rudolf-Steiner-Schule und aus dem Werkhaus herausdrängte – denn die alten Holzpavillons waren abgebrannt.

 

Es war eine verheißungsvolle und vielversprechende Zeit für mutige Ideen, Wünsche, Vorstellungen und finanztechnische Wagnisse, die sich dann mehr und mehr zum konkreten Planungsprozess für den Neubau verdichteten. In dieser Zeit sind wir zwar immer noch nicht der eigentlichen Geburtstunde der Georgschule nahe, aber in ihr lagen die Geburtswehen, aus denen der Neubau hervorging, und nur davon will und kann ich erzählen.

 

Wie sahen die damaligen Visionen aus? Sie sahen bis ins Detail genau so aus, wie sie heute da stehen als gebaute Form. Wir brauchen diese nur mit Interesse auf uns wirken lassen, um darin lesend zu ihren Ideengründen zu gelangen.

 

Die Georgschule empfängt ihre Schüler und Besucher
mit einladend geöffneten Armen, die sich links und rechts des großzügig und symmetrisch gestalteten Eingangs für den Kommenden öffnen. Die Symmetrieachse ist ein auffallendes Gliederungselement, das sich durch den ganzen Bau zieht und diesen in zwei gleiche Bauflügel ordnet. Das Schulhaus ist zweigeschossig gebaut. Durch die Hanglage allerdings ist es mit der nach Westen orientierten Eingangsseite soweit in das Gelände gesenkt, dass der Haupteingang im Obergeschoss angeordnet ist. Die weite Außenfläche des Eingangsvorplatzes ist aber bewusst daraufhin angelegt, das Gebäude von dieser Seite auf den ersten Blick als eingeschossig, kleinvolumig und mit leicht überschaubarer Gliederung in Erscheinung treten zu lassen.

 

Betreten die Schüler ihre Schule durch den breiten Windfang, eröffnet sich ihnen die Größe ihrer Schule unmittelbar durch das Erleben der Zweigeschossigkeit des Saales, auf dessen Emporenflur sie sich gleich nach dem Eingang befinden. Der Emporenflur verläuft sich nach links und rechts in die beiden Klassenflure und umfasst auch den weiten Saal bis hin zur Bühnenwand, die dem Eingang genau in der Achse gegenüber liegt. Am inneren Rand des Emporenumganges stehen zehn Betonstützen in einem zur Bühne hin offenen Bogen, die mit ihrer besonderen Kopfgestaltung wie aufmerksame Wächter den eigentlichen zweigeschossigen Kern des Saales einfassen. Der Deckenbereich dieses Saalkernes hat zum Dach hin einen umlaufenden Belichtungsschacht, in den große Oberlichter eingebaut sind, die in den gesamten Saal ein gleichmäßig sanftes Licht ergießen.

Am Beginn der links und rechts abgehenden Klassenflure führen zwei großzügige Treppen hinunter in das Erdgeschoss und enden dort im unteren Saalbereich. Wer sich dort unter dem Emporenumgang wiederum in die Achse des Saales stellt und den Blick zur Bühne richtet, wird ein ganz anderes Raumerleben haben, als es oben auf der Empore beim Eintritt in das Gebäude ist. Oben wird der Blick wechselweise in den Umkreis sowie nach unten in den Saal gelenkt und es ist leicht, eine gewisse orientierende und bewertende Distanz zu wahren. Hier unten im Erdgeschoss geht das Schauen auch in den Umkreis, vor allem aber nach oben in den lichten Saal, das Raumerleben ist viel intimer, es berührt fast schon hautnah. Der Saalboden ist im Innenraum zwischen den Stützen in fünf breiten Stufen zur Bühne hin abgesenkt. Der Flurumgang aber bleibt eben und gestaltet sich vor der Bühnenöffnung zur Vorbühne. Durch die Absenkung des Kernsaalbereiches entsteht so eine separate Fläche für unterschiedlichste Nutzungs- und Bestuhlungsmöglichkeiten. Das ganze Raumgebilde ist insgesamt ein äußerst vielseitig nutzbarer Mehrzwecksaal, geeignet als schlichte Pausenhalle, für die Monatsfeiern, bis hin zu anspruchsvollsten Veranstal-tungen aller Art. Die schon an der Gesamtgestalt des Schulhauses auffällige künstlerische Faltung und Gliederung seiner Einzelelemente wird im Inneren der Räume und ganz besonders im Saal feingliedrig weitergeführt und innen wie außen mit einer sorgsam abgestimmten Farbgestaltung vollendet…

 

Doch halt, was tue ich da? Ich schildere Eindrücke vom Gebäude der Georgschule, die ja jeder Betrachter für sich selbst nach eigenem Vermögen viel stimmiger und überzeugender erleben kann. Deshalb schaue ich lieber wieder in die Vergangenheit zurück – zu den Mitarbeitern der Georgschule auf der schönen weiten und noch unbebauten Wiese.

 

Da lebt mir zum Beispiel eine Persönlichkeit auffallend in der Erinnerung, die sehr bildhaft ihre Vorstellungen von der Gestaltung eines Schulhauses und besonders seines zentralen Einganges schildern konnte. Dieser sollte in der Geste und der Stimmung so wirken wie etwa eine Lehrerpersönlichkeit, die morgens als Erste am Schuleingang steht und jeden Schüler einzeln mit Handschlag freundlich begrüßt und anspricht. So gab es zu allen Bereichen einer visionären Schule die unterschiedlichsten Beiträge, in etwa der eben geschilderten Weise, in denen die Lebenserfahrun-gen jedes Einzelnen als anschauliches Stimmungsbild zum Ausdruck kamen. In mir sammelten sich diese Seelenbilder und ordneten sich mehr und mehr zum Gesamtbild. Aus unendlichen Weiten gedanklicher Möglichkeiten gestalteten sich mitteilbare Vorstellungen und schließlich Motive, die sich mit Willenskraft im Tun verdichten konnten zu realen Plänen, Berechnungen und schließlich zum Neubau der Georgschule mit all ihren kleinen und großen Details. Es wurde alles sorgsam geplant als Glied eines einheitlichen Gesamtgebildes, und das kann an jedem Detail nachvollziehbar abgelesen werden. So wie ja auch jedem lieblos und schlampig hergestellten Ding sein schlampig-liebloser Ursprung unmittelbar anzusehen ist…

 

Die damaligen Ideenfinder zum Neubau der Georgschule waren sich der weit in die Zukunft reichenden Wirkungen ihres Gedanken- und Vorstellungslebens sehr bewusst. In sorgsam liebevoller Weise gestalteten sie daher ihre Ideen, um daraus einen bestmöglichen Humus für den Planungsablauf und das daraus hervorgehende neue Schulhaus zu bereiten.

 

Das ist das Wesen jeder Form, dass sie den Geist offenbart, der sie geschaffen hat. Sie muss es tun, sie kann gar nicht anders, solange sie existiert. Ob wir die Form bewusst lesen wollen oder nicht, bleibt zwar unserer freien Entscheidung überlassen. Erleben aber müssen wir sie, bewusst oder auch unbewusst, auch wir können gar nicht anders, solange wir mit unseren Sinnen der Welt zugewandt sind.

 

Die Künstler aller Kulturen lebten und leben in diesem Bewusstsein, sie nutzen die Form lediglich als Träger, als Vermittler für das, was sie auf diese Weise den Seelen ihrer Mitmenschen mitteilen wollten, durch Sprache, Musik, Malerei, Plastik oder letztlich durch die Architektur.

 

Mit meinen herzlichsten Geburtstagsgrüßen habe ich meinen Blick zum Anlass von Festschrift und Festwoche sehr gern gelenkt auf die viel sagende Formen- und Farbensprache der Georgschule. Und ich weiß, dass sich dies lohnt, denn das Erleben an beidem ist – und das wohl nicht nur für mich – immer wieder wie ein Geschenk.

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